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07.12.2007 Rumänien welch ein Land!


Wort zum Sonntag aus dem Buch Don Demidoff "Der Dornenpriester" Rumänien welch ein Land! Jeder Mensch hat eine Wirbelsäule, aber nur wenige haben ein Rückgrat. Bei der Jahresversammlung im Kombinat stellt die Führung ihre Bilanz vor. Wie immer ist der Plan übererfüllt. »Hat noch jemand eine Frage dazu?«, will der Vorsitzende abschließend wissen. Tatsächlich, da gibt es jemanden, der eine Frage hat: »Bitte, Herr Vorsitzender, mein Name ist Popescu. Ich arbeite im Kombinat in der Buchführung. Ich habe den Eindruck, Herr Vorsitzender, dass in der Bilanz, die Sie vorgelegt haben, ein Fehler ist. Ich glaube, Ihre Angaben stimmen nicht.« »Gut«, antwortet der Vorsitzende, »wir werden das untersuchen, und auf der nächsten Jahresversammlung erklären wir Ihnen das.« Auf der Kombinatsversammlung ein Jahr später erklärt der Vorsitzende wieder die Bilanz. »Gibt es noch eine Frage?«, will der Vorsitzende wissen. Tatsächlich, da gibt es doch wieder jemanden, der eine Frage hat: »Bitte, Herr Vorsitzender, mein Name ist Constantinescu. Wo ist Herr Popescu geblieben?« Der damalige Stellvertreter Ceauºescus ist heute Staatspräsident, Ion Iliescu. Es muss sich doch niemand wundern, dass sich in Rumänien nichts ändert und dass die Menschen immer noch Angst haben. Ich bin ihnen unheimlich, weil ich keine Angst habe. Das kommunistische System hat die Menschen ihrer Courage beraubt. Es wird lange dauern, bis die Rumänen ihr Rückgrat wiederhaben. Selbst unsere Kinder, die mit Sicherheit sehr viel freier aufwachsen als viele ihrer Altersgenossen in Rumänien, bekommen indirekt die Auswirkungen dieses Systems zu spüren. Ihre Erzieherinnen sind nämlich noch in der Diktatur aufgewachsen. Deshalb erzähle ich meinen Kindern davon, dass die Menschen im Westen Respekt voreinander haben, dass es gewisse Umgangsformen gibt, dass man beispielsweise nicht so isst, wie es hier noch jeder Minister tut, dass man für einen älteren Menschen in der Straßenbahn aufsteht, dass man wartet, bis ein Entgegenkommender den Raum verlassen hat. Der Leser merkt sicher sofort, dass ich bereits einige Jahre nicht mehr in Deutschland lebe. Trotzdem halte ich diese Werte bei meinen Kindern hoch. Und ich finde, dass es uns erstaunlich gut gelungen ist. Man darf dabei eben nicht vergessen, aus welchem Umfeld die Kinder kommen und in welchem Umfeld, zum Beispiel in der Schule, sie heute aufwachsen. Dazu müssen wir Durchsetzungsvermögen, Ausdauer und manchmal auch Härte zeigen. Die Menschen in diesem Land sind noch lange nicht frei. Sie verstehen nicht, dass man das Recht hat, sein Recht zu erstreiten. Nach wie vor gehen sie davon aus, dass sie keine Möglichkeit haben, den korrupten Bürgermeister oder den Polizisten zu verklagen. Ich bin vielen Rumänen auch deshalb suspekt, weil ich Prozesse führe. Nicht etwa, weil ich sie gern führe, sondern weil ich die Stiftung und damit meine Kinder vor Anfechtungen schützen muss. Man hat mir sogar schon vorgeworfen, dass ich ein »Prozessomane« sei. Vierzig Jahre lang haben die Menschen vieles geschluckt und Unrecht über sich ergehen lassen. Zum Schluss haben sie alles über sich ergehen lassen, bis zur allerletzten Erniedrigung. Die Menschen wurden vollständig gebrochen. Ein Außenstehender kann sich dies kaum vorstellen. Selbst fünfzehn Jahre nach der »Revolution« finde ich heute keine Menschen, mit denen ich diskutieren kann. Sie haben einfach keine eigene Meinung. Aber wie weit entwickelt ist denn die westliche Welt? Im dekadenten Westen geht es doch nur noch um das eigene Wohlbefinden. Ein ungeheurer Egoismus ist uns anerzogen worden, hauptsächlich durch die Industrie und den Kapitalismus. Die Großfamilie wurde deshalb geteilt, weil dann nicht nur ein Kühlschrank sondern fünf verkauft werden können. Dann lassen sich auch fünf Autos statt einem unters Volk bringen. Sicherlich ist dies eine ganz stark vereinfachte und undifferenzierte Sichtweise. Aber im Ergebnis ist es so: Die Großfamilie hat ausgedient. Stattdessen hat plötzlich jeder den Wunsch, sein Elternhaus so früh wie möglich zu verlassen und immer früher selbständig zu werden. »Du sollst Vater und Mutter ehren«, aber die Liebe zu den Eltern wurde mit einem Mal zur Nebensache. Und was spielt sich heute in den Schulen ab? Nun heißt es, wir müssen wieder einen »Knigge« für Jugendliche herausbringen, wir müssen wieder über Werte sprechen. Warum hat man die Werte denn erst verkommen lassen? Es fing an mit der antiautoritären Erziehung, dann sprach man von der Partnerschaft zwischen Schüler und Lehrer. Heute wissen sich die Lehrer der aufsässigen Schüler nicht zu erwehren. Sie tanzen ihnen auf der Nase herum oder erschießen ganze Kollegien. Und immer wieder stellt man nach einer weiteren Schulkatastrophe fest, dass der Täter niemanden hatte, mit dem er sprechen konnte. Die Idee von der humanistischen Schule, in der die Schüler ihren Lehrer respektieren und der Lehrer die Schüler im humanen Geist erzieht, ist weitestgehend untergegangen. Zu den Grundwerten der humanen Zivilisation gehört der Glaube an Gott. Dabei bietet die Religion das Grundgerüst für die gesellschaftlichen Werte. Wenn heute konstatiert wird, dass den Menschen der Glaube abhanden gekommen ist, muss die Frage erlaubt sein: Warum glauben die Menschen heute nicht mehr an Gott? Die Antwort muss doch lauten: weil die Menschen von den Kirchen im großen Stil enttäuscht worden sind. Aber anstatt die Enttäuschungen ernst zu nehmen, hat die Kirche diese Menschen verjagt. Die evangelische und die katholische Kirche stehen sich dabei in nichts nach. Daneben ist ein ganz neues »Evangelium« entstanden, das Kapital. Es suggeriert den Menschen, dass das persönliche Wohlbefinden die Grundlage des neuen Lebensgefühls ist. Menschen lernen deshalb in der Folge, egoistisch zu sein. Auf globaler Ebene haben die Großindustrien es geschafft, die Menschen so zu indoktrinieren, dass jeder glaubt, er müsse all das besitzen, was angeboten wird. Charakteristisch dafür ist die rasche Entwicklung der Computertechnik. Hardware oder Software, heute gekauft, ist bereits morgen veraltet. Aber auch viele andere Güter, die man vorher bescheidener genutzt hat, werden heute mehrfach angeschafft. Kaum ein Haushalt, der nicht zwei Fernseher oder zwei Autos hat. Die Industrie kann nur fünf Autos in jede Familie verkaufen, wenn sie dazu beiträgt, die Familien räumlich zu trennen. Die Lebensumstände müssen immer angenehmer werden. Die Tiefkühltruhen quellen über vor Fertiggerichten, die man nur noch kurz erhitzen muss. Dadurch werden auch die Menschen bequemer und wenden sich immer mehr dem seichten Leben zu. Die Medien haben sich darauf eingestellt und fördern und unterstützen die Menschen beim Nichtstun. Wie anders ist es zu erklären, dass Tausende vor dem Fernseher sitzen und schadenfroh verfolgen, wie andere sich blamieren. Die materielle Sinnlichkeit verführt die Menschen dazu, nur an sich zu denken. Junge Menschen lassen sich heute mit Werten oder humanitärem Gedankengut nicht mehr hinter dem Ofen hervor locken. Der Dienst am Menschen tritt weit hinter das eigene Vergnügen zurück. Die Globalisierung wird den Egoismus und die Vermischung kultureller Werte weiter befördern. Auch der »Multikulti«-Gedanke hat den Verfall der Werte beschleunigt. Alle Kulturen und die ihnen eigenen Wertevorstellungen werden munter miteinander gemischt. Was andere Kulturen sich in Deutschland erlauben, wäre umgekehrt nicht denkbar. Wie wäre es, wenn wir im Iran eine katholische Kirche bauen wollten? Wir sind so tolerant, dass wir von der eigenen Toleranz aufgefressen werden. Die Globalisierung wird beide Tendenzen ? den Egoismus und die Vermischung kultureller Werte ? weiter befördern und den Menschen ihre Identität nehmen. In der Globalisierung erkenne ich wieder die drei wesentlichen Ideen des Freimaurertums: die Einheitswelt, die Einheitsreligion mit ihrem großen Weltbaumeister (vielleicht erzählt man uns ja noch, wer das ist) und der Einheitsmensch, genetisch geplant und manipuliert, gesundheitlich optimiert, auf eine bestimmte Tätigkeit und einen entsprechenden Konsum programmiert. Das Dasein wird kalkuliert, alles wird zur kalten Buchhaltung, Unvorhergesehenes wird minimiert. Nein! Ich bin dafür, dass wir den Menschen so lassen, wie Gott ihn vorgesehen hat. Die Vervollkommnung ist einer anderen Dimension vorbehalten, und ich glaube denen nicht, die die Vervollständigung des Menschen hier auf Erden versprechen. Auch das Kind, das behindert zur Welt kommt und der alte Mensch, der in seinen letzten Tage bitterem Leiden ausgesetzt ist, hat eine Daseinsberechtigung ? und hat einen Sinn. Es ist kein Zufall, dass wir uns heute mit der Globalisierung auseinandersetzen. Die Industrie, der große Förderer der Globalisierung, hat keine anderen Bestrebungen, als noch mehr zu komprimieren, um noch mehr Geld zu verdienen. Die Produktionsstätten werden dort eröffnet, wo die billigsten Arbeitskräfte sind. Sie werden aus den Ländern abgezogen, in denen die Menschen sie entworfen und aufgebaut haben. Kleine, lokale Geschäfte haben kaum mehr eine Überlebenschance. Nur wer verrückt ist, führt heute noch einen »Tante-Emma-Laden«. Selbst Kneipen gehören schon irgendwelchen Ketten, die weltweit operieren. Höchstens in dubiosen Asozialen-Vierteln gibt es noch Kneipen, weil dort ein ehemaliger Boxer hinter dem Tresen steht und seine Zoten erzählt. Was ist das für ein Unsinn, dass auf der einen Seite Millionen Menschen ohne Arbeit sind, und auf der anderen Seite darüber nachgedacht wird, bis ins Alter von 67 Jahren zu arbeiten? Große Konzerne fusionieren zu noch größeren Weltkonzernen, allein zu dem Zweck, um Wettbewerb auszuschalten. Im Nachgang werden Fabriken oder Banken geschlossen und Hunderttausende verlieren ihre Arbeit. Was ist daran fortschrittlich, was ist daran gut? Was macht denn den Wert des Individuums aus? Doch den, dass es gebraucht wird! Gebraucht zu werden, macht zufrieden. Was ist das für ein Unsinn, dass auf der einen Seite Millionen Menschen ohne Arbeit sind, und auf der anderen Seite darüber nachgedacht wird, bis ins Alter von 67 Jahren zu arbeiten? Aus Rumänien kann ich viele Beispiele zu diesem Thema bringen. Anfangs gab es hier nur kleine Zigarettchen, die wohl vorzugsweise aus alten Matratzen gefertigt wurden. Nach der Öffnung der Grenzen wurde Rumänien mit westlichen Zigaretten überschwemmt, günstiger als das einheimische Kraut. Heute wird der Tabakmarkt von westlichen Firmen kontrolliert, die rumänischen Sorten spielen keine Rolle mehr. Dass nun nach und nach die Preise der Westzigaretten erhöht werden, versteht sich von selbst. Mit dem Ziel, Rumänien in die EU aufzunehmen, verfolgen die Europäer ? das ist jedenfalls meine feste Überzeugung ? nur einen Gedanken: Sie wollen an die Ressourcen dieses Landes herankommen. Ich übe scharfe Kritik an den Rumänen, aber ebenso scharf ist meine Kritik an den Europäern. Es ist nicht etwa Edelmut, es ist nicht die Menschenliebe, die die Europäer leitet, wenn sie sagen, den Menschen in diesem Land muss geholfen werden. Kinderarbeit gibt es in Portugal heute noch, und wie lange ist Portugal bereits Mitglied der EU? Rumänien ist voll mit Bodenschätzen, mit Öl, mit Gold, mit Metallen. Der Boden, insbesondere in Siebenbürgen, ist satt, ist schwarz und fruchtbar. Außerdem gibt es hier billige Arbeitskräfte, die man noch lange ausbeuten kann. Schon entstehen in Rumänien die ersten Fabriken, die Ware produzieren, die sich im Lande niemand leisten kann. Nun mögen mir meine Kritiker entgegenhalten, dass auch die Menschen in Ländern wie Polen von der Europäischen Gemeinschaft profitiert haben. Das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass neben Albanien in Rumänien die schärfste Form des Kommunismus im Warschauer Pakt geherrscht hat mit einer Abschottungspolitik, die es so in Polen nie gegeben hat. Die Indoktrination der Menschen ist in Rumänien vierzig Jahre lang perfektioniert worden. Um sie aufzuweichen, sind nicht Jahre, sondern Jahrzehnte nötig. Wer nach Rumänien kommt, dem fällt auf, dass die Menschen dieses Landes einem nicht in die Augen sehen können. Ihm wird auffallen, dass Rumänen keine eigene Meinung haben. Sie haben Angst. Es wird noch sehr lange dauern, bis sie frei sind. Denn eine echte Revolution wie in Polen hat in Rumänien nie stattgefunden. Der Geheimdienst, die Securitate, ist nie aufgelöst worden, sondern wurde lediglich umorganisiert. Bestechungsgelder gehören zum täglichen Umgang. Rumänien ist eines der Länder mit der höchsten Korruption weltweit. Die Indoktrination wird noch lange Jahre die Menschen beherrschen. Ehemals kommunistische Länder wie Polen, Ungarn und die Tschechei haben eines erkannt: Die Indoktrination muss mit Stumpf und Stil ausgerottet werden. Ein wichtiges Mittel auf diesem Weg ist die radikale Privatisierung, um wesentliche Bereiche des täglichen Lebens aus der staatlichen, kommunistisch tradierten Umklammerung zu befreien. Die Rumänen haben es in den vergangenen fünfzehn Jahren nicht einmal geschafft, wesentliche und ernsthafte Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Die großen Fabriken werden nach wie vor vom Staat gelenkt. Aber ein Staat ist wohl nur selten in der Lage, profitabel zu wirtschaften. Warum sollte Rumänien in diesem Punkt anders sein als die Bundesrepublik? Bakschisch-Herrschaft Serban Mihailescu, gewesener Generalsekretär des Premierministers Adrian Nastase, wird im Volksmund »Micky Bakschisch« genannt. Seine Schmiergeldaffären beweisen, wie die Korruption in Rumänien bestens funktioniert. Weil ich mich bei der Staatssekretärin Gabriela Coman über ihre Praktiken beschwerte, die die Heimkinder aus statistischen Gründen in ihre Familien zurück-integriert und damit diese Kinder erneut in ein unbeschreibliches Elend verfrachtet, weil ich schließlich gegen sie Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch erstattete, schickte auch mir Mr. Bakschisch seine Kontrolleure ? unter der Leitung von Virgil Teodorescu, inzwischen verhaftet. Auch er kam, um abzukassieren. Bis in mein Schlafzimmer arbeiteten sie sich vor und schnüffelten und schnüffelten. Wer sich wie ich weigert, zu zahlen oder besser gesagt: zu bestechen, wird mit falschen Anklagen und Untersuchungen schikaniert. Rumänien steht auf der weltweiten Korruptionsskala von »Transparency International« nach dem jüngsten Ranking aus negativer Sicht weit vorn ? gleichauf mit dem afrikanischen Staat Malawi. Selbst beim Obersten Kassationshof kann man schmieren. Die Richterin Aurelia Bunea verlangte von einem Verurteilten 41.000 US-Dollar und suspendierte einem Angeklagten eine fünfjährige Haftstrafe. Beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg begehren im Jahr 2004 4.594 Rumänen Recht, das sie im eigenen Land nicht bekommen. Bundeskanzler Schröder, der Rumänien im August 2004 besuchte, äußerte zwar seine Besorgnis zur anhaltenden Korruption, erklärte aber, dass es beschlossene Sache sei, dass Rumänien 2007 in die Europäische Union integriert werde. Gute Nacht, armes Schröder-Deutschland, wenn die hiesigen Praktiken leise und schleichend auch dort an der Tagesordnung sein werden. Denn die Korruption wird die Ehrlichen fressen. Sie werden der Korruption nichts anhaben. Von der Wiege bis zur Bahre kann der Mensch hier nur überleben, wenn er sich dem System der Korruption unterwirft. »Ich komme von Zuhause«, ist der Schlüsselsatz, und dann übergibt man dem Beamten das kleine oder große Geschenk. Angefangen von einem Paket Kaffee (es muss Jacobs sein) bis zum Haus oder Auto. Es gibt zahlreiche Schlüsselworte für seine Bereitschaft, zu schmieren: »Spaga«, »Mita«, oder »Ciubuc«. Die Krankenschwester, die den Besucher nur gegen Geld zum Neugeborenen lässt, der Friedhofsverwalter, der noch eine freie Grabstelle finden soll, der Arzt, der eine einfache oder schwere Operation ausführen soll, die Schüler, die eine gute Note haben und die Studenten, die ihr Examen bestehen wollen, der Unternehmer, der dringend ein Telefon braucht und die Archivarin im Gericht, die eine Akte herausrücken soll, der Zöllner, der seine aberwitzige Behauptung zurücknehmen soll, die Gesetze der Ein- oder Ausreise hätten sich seit gestern geändert: Immer muss geschmiert werden. Wer nicht schmiert, muss betteln gehen oder früher sterben. Ein rumänischer Haushalt gibt etwa 10 Prozent für Spaga (Schmierseife) aus. Zwar gibt es seit kurzem ein Anti-Korruptions-Büro, doch sei jedem geraten, das besser nicht zu bemühen. Die Tröge, aus denen die Herrschaftsschicht frisst, sind geblieben. Nur die Schweine haben gewechselt. Die ausländischen Investoren sorgen für ein rasantes Wirt-schaftswachstum, und doch bleibt Rumänien ein armes Land. Die Hälfte der Bevölkerung lebt immer noch unterhalb der Armuts-grenze, und mit einem Mindestlohn von 69 ? steht Rumänien an vorletzter Stelle unter den EU-Kandidaten-Staaten. Was haben wir hier für eine Demokratie? Ceauºescu, seine Frau und einige führende Kaderleute wurden 1989 kurzerhand exekutiert. Die Tröge, aus denen die Herrschaftsschicht frisst, sind geblieben. Nur die Schweine haben gewechselt. Der Bürgermeister von Iacobeni wechselt nach jeder Wahl die Partei wie seine Unterhosen. Denn er kommt auch nur dann an die Tröge, wenn er die richtige Farbe hat. Vom ersten Tag an habe ich mich geweigert, auch nur ein Paket Kaffee als Bakschisch zu geben. Wer sich aber so benimmt, der muss betteln gehen, der darf nicht »mitspielen«. Bei meiner Ankunft 1991 in Rumänien " ich hatte meine Koffer noch nicht ausgepackt" verlangte ein Finanzinspektor von mir unverblümt ein deutsches Auto. Sollte ich seinem Wunsch nicht entsprechen, würde ich von den Finanzbehörden niemals in Ruhe gelassen. Ich verweigerte mich ? und er behielt recht. Als ich mich bei seinem Vorgesetzten beschwerte, wurde der Inspektor zum Oberinspektor befördert. Diese Beispiele würden allein ein ganzes Buch füllen. Bei diesem System werden die verlassenen Kinder, die Kinder der Straße, noch lange keine Chance haben, denn sie haben überhaupt keine Lobby. Wahrheit geht eben betteln ... Das Auto des Ministers Bukarest, Freitag den 9. Juli 2004. Vor dem Gesundheitsministerium versammeln sich die zwei Gerichtsvollzieher, Gabriel-George Draganescu und sein Kollege Crafcenco, meine Anwältin Aneta Vovca und ihr Assistent Traian Marinescu, mein unsichtbarer himmlischer Sonder-Begleit-Engel Manuel und ich. Der Engel Manuel ist der Engel für aussichtslose Fälle. Wir beginnen eine Aktion, die es wohl nie zuvor in Rumänien gegeben hat, nicht in der Neuzeit nach der »Revolution«, schon gar nicht in der Zeit der Herrschaft des Diktators. Im Februar hatte der Höchste Gerichtshof in Bukarest entschieden, dass die Willkür des Generaldirektors im Gesundheitsministerium, Domnul Buraga, mir mein weiteres Aufenthaltsvisum zu verweigern, Unrecht ist. Dreizehn Jahre lang musste ich jedes halbe Jahr von Instanz zu Instanz betteln, um mein Aufenthaltsrecht zu erlangen. Die Bürgermeister von Cincu und Iacobeni, die Herren Tanase und Cori, hatten ein so genanntes »Avis« auszufertigen, der Generalsekretär des Kreisrates in Sibiu, Andre Polefka, dann ein Empfehlungsschreiben (Recomandare), und mit diesem Empfehlungsschreiben hätte dann der Generaldirektor des Gesundheitsministeriums eine weitere so genannte »Recomandare« ausstellen können. Hätte, wenn er denn gewollt hätte. Alle diese Papiere wären dann der Kreispolizei vorzulegen gewesen, die dann das Verlängerungsvisum auszustellen hätte. Hätte, wenn sie denn gewollt hätte. 13 Jahre lang zweimal jährlich eine Prozedur der Schikanen und Beleidigungen. Da ich inzwischen im Land dafür bekannt bin, grundsätzlich Bakschisch zu verweigern, bin ich also selber schuld. Anfang 2004 war es dann soweit. Ich reiste aus Visagründen wieder einmal nach Bukarest. Die Sekretärin des Generaldirektors, Anna-Maria, die mich und die Stiftung hinreichend kannte, drückte mir ein Formular in die Hand und verweigerte mir das Empfehlungsschreiben. Das Formular hatte aber überhaupt nichts mit meinem Antrag zu tun. Ich verlangte den Generaldirektor persönlich zu sprechen. Der Herr Generaldirektor sei nicht anwesend, war ihre Antwort. Mich übermannte einmal mehr meine Cholerik und ich schrie sie an, sie solle mir sagen, wo ich den Generaldirektor finden könne. Ich war außer mir: Nach 13 Jahren Schikanen ? dies hier war ja nur wieder eine von vielen bei allen möglichen Behörden ? war ich nicht mehr zu bremsen. Ich schrie so laut, dass plötzlich die Tür des allmächtigen Generaldirektors aufging. Er war es tatsächlich persönlich. Er fragte, wer denn da so schreien würde? Bevor ich viel erklären konnte, zog er mich in sein Prunkbüro und sagte, dass es sich um ein neues Gesetz handele. Natürlich war das schlicht und einfach gelogen. Es war der x-te Versuch, mich nun endlich aus Rumänien zu entfernen. Er lachte, als ich wütend sein Zimmer verließ und ihm mit einem Prozess drohte. Sehr gut wusste er, dass es in Rumänien fast unmöglich war, »Autoritäten« zu verklagen, auch wenn das Recht noch so deutlich durch diese gebrochen wurde. Hatte meine Drohung auch wirklich einen Sinn, nachdem die Akten von über zwanzig Strafanzeigen von mir schlicht und einfach verschwunden waren? Und konnte man überhaupt gegen diesen hohen Regierungsbeamten des Gesundheitsministeriums direkt ein Gericht anrufen? Meine Anwältin fand den Weg. In letzter Instanz verurteilte der »Inalta Curte de Casatie si Justitie« in Bukarest am 3. Februar 2004 das Gesundheitsministerium, das notwendige Empfehlungsschreiben auszustellen und ? ich traute meinen Ohren nicht! ? verordnete, ein Schmerzensgeld von 500 Millionen Lei (etwa zwölftausend Euro) Wiedergutmachung zu zahlen. Das war für die rumänische Rechtssprechung ein ungeheures Urteil, eine unglaubliche Summe. Mein persönlicher Begleitengel Manuel aus der vierten Dimension musste wohl seine Finger (Verzeihung: Flügel) im Spiel haben. In der Tat waren die Monate ohne Aufenthaltsvisum deprimierend und beleidigend, schmerzhaft. Nach den vielen Jahren humanitären Einsatzes, nach über einem Jahrzehnt der Opfer für meine Kinder, musste ich ohne Visum das Land alle vier Wochen wie ein Tourist verlassen, weil ich sonst illegal im Lande gewesen wäre und jeder einfach Polizist mich über die Grenze hätte abschieben oder verhaften können. Im Februar war das unwiderrufbar Urteil ergangen, doch das Ministerium weigerte sich beharrlich, zu zahlen. Der Gerichtsvollzieher versuchte es bei den verschiedenen Banken des Ministeriums. Alles sei budgetiert, behaupteten sie, und für ein solches Urteil gäbe es kein Budget. Es ist schwer, in Rumänien einen Gerichtsvollzieher auf den Weg zu bringen, und so bedeutete er Aneta, es gäbe wohl kaum eine Chance, an das Geld zu kommen. Verschiedene friedliche Versuche, das Ministerium zur Zahlung zu bewegen, scheiterten. Man lachte höhnisch ob meines Begehrens. Der Spezial-Engel Manuel aus dem sechsten himmlischen Chor ist der »Nothelfer-Engel im Kampf«, der »Engel der Bereitschaft« in ausweglosen Situationen. Er war in den rumänischen Jahren ein treuer Begleiter geworden. Nun, am Freitag, den 9. Juli 2004 um 11 Uhr, wartet Manuel, nicht sichtbar, vor der Tür des Gesundheitsministeriums auf uns. Und tatsächlich: Die beiden Gerichtsvollzieher erscheinen. Vielleicht ist es auch Manuel, der dafür gesorgt hat, dass das Dienstauto des Ministers direkt vor dem Eingang geparkt ist, hat er doch sonst einen Sonderparkplatz hinter dem Haus. So schreiten die Gerichtsvollzieher direkt zur Tat, notierten sich die Daten und das Nummernschild des Autos ? und pfänden es! Ich bin sprachlos und ich hätte zu gerne meinen Engel angefasst, gekniffen. Wir erreichen ohne Hindernisse die dritte Etage, das Büro des Ministers. Wiederum wird behauptet, der Minister sei nicht anwesend. Die Gerichtsvollzieher und meine Anwälte lassen sich jedoch in keiner Weise irritieren. Sie begeben sich in das Büro der Rechtsreferentinnen. Fünf Damen in einem engen Büro. Die Sommerhitze ist unerträglich. So dümpeln diese Damen dahin, eine lackiert ihre Fingernägel, eine andere liest einen Roman, die dritte isst einen Apfel. Sie können schwer fassen, was nun geschieht. Ein Gerichtsvollzieher verlangt einen Stuhl, um am Schreibtisch Platz nehmen zu können, klemmt sich zwischen die wichtigen Damen, holt seine draußen aufgeschriebenen Daten aus der Tasche, schreibt mit der Hand ein zweiseitiges Protokoll (Proces verbal) und verkündet, dass der Dienstwagen des Ministers mit dem Kennzeichen B - 02 WMS somit gepfändet ist. Das Ministerium hat nicht das Recht, den Wagen zu verkaufen, und wenn das Schmerzensgeld nicht innerhalb der nächsten 14 Tage an mich gezahlt würde, würde der Wagen öffentlich versteigert. Den Damen, die nun gar nicht mehr gelangweilt sind, Roman, Apfel und Nagellackpinsel dramatisch fallen lassend, muss dies wie ein schlechter Traum vorkommen. Ich kann mir in dieser wahrhaft komischen Situation meinen Kommentar nicht verkneifen und Aneta schiebt mich, an der Jacke fassend, mit Gewalt aus dem Büro heraus, denn sie fürchtet um eine meiner cholerischen Äußerungen. Auch das muss wohl eine Tat des Nothelfer-Engels sein, denn kaum auf dem Korridor angelangt, erscheint Minister Brinzan mit einem Bodyguard und verschwindet in seinem Büro. Ich spüre, dass mich Manuel anstößt, dem Minister zu folgen, und so klopfe ich artig, aber doch laut genug, an die Eisentür. Da niemand herein sagt, trete ich ein. Dort ist bereits eine Ansammlung von wichtigen Damen und Herren, Referenten, Consilieri (Berater), ein Staatssekretär und eine eindruckerweckende Sekretärin. Sie herrscht mich an, ich könne nicht einfach das Vorzimmer des Herrn Minister betreten. Ich sage, dass ich es für wichtig halte, den Minister persönlich zu sprechen und überreiche ihr die Aprilausgabe der Zeitschrift »acasa«, in der ? ausgebreitet auf zwei Seiten ? über das Urteil berichtet wurde unter dem Titel: »Der Priester und die Justiz gegen den rumänischen Staat (Preotul si Justitia versus statul Roman)«. Natürlich hatte niemand dort den Artikel gelesen. Nicht gelesen, dass auch die Journalisten mehrmals versucht haben, den Minister zu erreichen, nicht gelesen, dass es »eine Empörung sei, dass die Regierungsbeamten nicht ihre Arbeit leisten und jetzt der Steuerzahler das Schmerzensgeld zahlen müssen«. Die Anwesenden mustern mich, als sei ich von einem anderen Stern. Oder können sie tatsächlich meinen himmlischen Boten erkennen? Man scheucht mich mit wilden Gesten hinaus, der Minister sei für mich nicht zu sprechen. Ich nenne die Chefsekretärin noch eine »Tovarasa« (Genossin), rufe noch etwas von kommunistischer Ideologie und prophezeie, dass sich nun die Zeiten endlich ändern werden: Nicht der »Bittsteller« kommt mit Bakschisch, sondern der Bittsteller erhält ein Schmerzensgeld. Ich bedanke mich aus ganzem Herzen bei den Gerichtsvollziehern, meinen Anwälten, danke vor allem aber Manuel, meinem Nothelfer-Engel der vierten Dimension. Noch heute ist es für die meisten Rumänen unvorstellbar, das Recht bei Gericht zu suchen. Immer wieder sagen mir Menschen, die bei mir Zuflucht, Schutz, Rat und Hilfe suchen: Parintele (Priester), was sollen wir denn machen, wir sind doch viel zu klein. Noch heute ist es für die Masse der Rumänen unvorstellbar, ihr Recht bei Gericht zu suchen. Immer noch hat man Angst, ist immer noch geduckt, nur ja niemand von denen da oben herauszufordern. So eingeschüchtert sind sie, dass man ihnen ihre Häuser und ihr Hab und Gut einfach wegnehmen (»nationalisieren«) konnte, ihnen die Freiheit nahm, ihnen Recht verweigerte, die Familien auseinander riss und ihre Kinder von den Feldern stahl, um sie in menschenunwürdigen Verwahrungsanstalten zu rohen Kandidaten zu deformieren, zu Mitgliedern der Securitate, zu den »Jungs mit den blauen Augen«, wie sie im Volksmund immer noch genannt werden. So eingeschüchtert sind sie immer noch, dass sie in eine andere Richtung schauen, einfach wegsehen, wenn sie einem Fremden die Hand geben. Ihr Pater Don Demidoff ICCC