DepescheDonDemidoff :: Don Demidoff
Reiseberichte
Archiv
Meinungen
Das Wort |zum Sonntag
Aktion
Personalien
Freunde
Video
Briefe
Don Demidoff
Europa |Kulturhauptstadt
Internationale |Oecumene
Don Bosco
Klick - Kinder
Gebete eines |Dornenpriesters
Tagebuch eines |Dornenpriesters
Weisheiten
Konten der |Nächstenliebe
Gratulation
Memento mori
Basilika zu Jakobsdorf|Community Church
International Council |of Community |Churches
Gemeinschaft der |barmherzigen |Samariter
Impressum / Adressen
Dokumente
Edition des Herzens
Presse
Kontakt



 
 

04.02.2011: Der Hexenaufstand von Bukarest


20 Jahre nach der sogenannten „Revolution“Man lese und staune

In Rumänien arbeiten rund 4000 Frauen hauptberuflich als Hexen

Der Hexenaufstand von Bukarest

Sie verdienen bis zu fünfmal mehr als der Durchschnittsbürger. Jetzt will der Staat die Zauberei besteuern. Aber ist es klug, sich mit Hexen anzulegen?

Von Helge Timmerberg

Bukarest – Drei Puppen werden aneinander gebunden. Die große, mit den blonden Haaren, ist der Ministerpräsident Rumäniens. Die kleine (auch blond) ist sein Stellvertreter. Die dritte Puppe repräsentiert seinen wichtigsten Minister. Balkan – Voodoo nimmt seinen Lauf, das Feuer im offenen Ofen brennt, die Glut sieht furchterregend aus.

In einem niedrigen Käfig aus Maschendraht scheinen eine schwarze Katze und ein weißes Huhn das nahe Unheil zu ahnen, denn sie jammern beide auf ihre Art. Das Huhn schweigt angsterstickt, die Katze miaut jämmerlich. Es riecht nach Blutopfern und verdorbenem Fleisch.

Ein altes Ochsenherz stinkt zwischen Käfig und Ofen, während die Hexe Bratara Buzea Puppen fesselt und Zaubersprüche formuliert. Eine Litanei dunkler Worte, eine raue tiefe Stimme, das Ledergesicht der alten Zigeunerin im flackernden Licht einer Gaslampe sowie einige Hieb- und Stichinstrumente, die teils auf dem Boden und teils mit der Spitze in der Glut des Feuers liegen, erschrecken nicht nur die armen Tiere, sondern auch mich.

Wenig später steckt die Hexe den rotglühenden Spieß in das Ochsenherz und stochert in dem verdorbenen Fleisch so lange herum, bis es zu dampfen beginnt, und der Rauch stinkend durch das Zimmer zieht. Zwischen dem Ochsenherz, den herzlosen Puppen und den Herzen der Politiker muss es irgendeine Art von Verbindung geben, denn ab sofort wird in ihnen die Zwietracht einziehen, und damit aus der Zwietracht Hass und aus dem Hass ein Hauen und Stechen werden kann, sind jetzt die Tiere dran.

Die Hexe Bratara Buzea verflucht das rumänische Parlament.

Rumänien ist ein märchendurchwobenes Land. Dunkle Märchen von Vampiren, Werwölfen und schwarzer Magie. Zehntausend Hexen bieten im Königreich des Aberglaubens Liebeszauber, Flüche, und Gegenflüche als okkulte Dienstleistungen an.

Jahrhunderte, um nicht ein Jahrtausend zu sagen, taten sie das, ohne Steuern zu zahlen. Und damit ist es jetzt vorbei. Der Staat will ab sofort 32 Prozent ihrer Einnahmen. Denn Hexen verdienen mit rund 15 000 Euro pro Jahr fünfmal mehr als der durchschnittliche Rumäne.


Die Albträume eines Volkes, das den Graf Dracula gebar, treiben ihnen die Kundschaft in Scharen zu. Mütter, Manager und Magersüchtige melden sich auf die Hexenannoncen, die in den rumänischen Tageszeitungen unter der Rubrik Ocultism zwischen Cabinete (SM) und Hostessia stehen, um sich für Honorare zwischen 10 und 100 Euro beraten zu lassen.



Aber auch Politiker kommen, um sich der dunklen Mächte zu bedienen, und das regt Bratara Buzea wirklich auf. „Erst bringen wir sie an die Macht, und dann wollen sie uns das Geld wegnehmen“, schimpft sie, und wenn diese Frau schimpft, wackeln wirklich die Balken. „Ich weiß, dass der Präsident Purpur trägt, aber mein Fluch ist so stark, dass er da wie ein Pfeil durch fliegt.“ Zur Erläuterung muss hier gesagt werden, dass in Rumänien Purpur als Schutzfarbe gegen Flüche gilt.


Die Hexe macht weiter. Für die Verzauberung des Parlaments braucht sie Salz, neun schwarze Pfefferkugeln, eine Pflanze, deren Namen sie nicht verrät und Erde, auf der Hundekämpfe ausgetragen wurden. Außerdem, und das betrifft die Tiere hier, Hühnerknochen und die Innereien einer Katze.

Ich bin Vegetarier, ich mag Tiere nicht leiden sehen. Ich hatte deshalb Bratara im Vorfeld der Rituale gefragt, ob sie das Huhn und vor allem die Katze am Leben lassen kann, und Bratara sagte: Ja, sie kann. Sie habe bereits in der letzten Woche das Parlament verflucht und wird es auch nächste Woche wieder tun, außerdem sei heute Vollmond, was ihre Flüche naturgemäß noch stärker mache, ich solle mich also wegen der Tiere nicht sorgen, bei Vollmond könne sie auf die Blutopfer verzichten.

Ich sorge mich trotzdem. Was ist, wenn sie mich nicht richtig verstanden hat? Was ist, wenn ich sie nicht richtig verstanden habe. Und was ist, wenn jeder alles richtig verstanden hat, aber im entscheidenden Moment die Hexe mit ihr durchgeht? Die Katze scheint meine Zweifel zu teilen, als Bratara ihre schwarzen Gebete wieder aufnimmt, den Spieß ein zweites Mal im Feuer vorglüht und ihn dann durch die Gitter des Drahtkäfigs streckt, um die Tiere ein bisschen symbolisch zu piksen.


Sie hält sich an ihr Versprechen. Sie pikst die Katze wirklich nur, aber die mitleidlose und mental hundertprozentig konsequente Art, mit der sie es tut, reicht mir bereits, denn mir ist sofort klar, wie das hier ohne mich weitergehen würde.


Die Katze hat nicht die geringste Chance, der Käfig ist so niedrig, dass sie sich in ihm nicht bewegen kann. Nicht mal kriechen. Die Hexe könnte mit ihr machen, was sie will. Schmerz, Panik, Qual sind der Treibstoff ihrer Flüche, doch heute fliegt er auch so ganz gut, denn erstens reagiert die Katze panisch genug und zweitens klingelt das Handy der Hexe. Bratara zieht den Spieß zurück, unterbricht ihre Zaubersprüche und nimmt das Gespräch an. Ein Kundengespräch.

Eine Ehefrau will ihren Ehemann zurück, der mit einer Australierin nach Australien abgehauen ist. Auch dafür braucht es schwarze Magie, weil nur die über Wasser fliegen kann. Weiße Magie kann das nicht. Die Honorarverhandlungen für den Liebeszauber ziehen sich hin, und das erlöst die Katze. Und es erlöst mich. Aber erlöst es auch das rumänische Parlament?


Das Parlament ist im Präsidentenpalast untergebracht. Rumäniens letzter stalinistischer Diktator ließ ihn bauen. Ich hatte bereits vom Größenwahn Ceausescus gehört, aber ab sofort weiß ich auch, wie Größenwahn aussieht. Der Präsidentenpalast im Herzen von Bukarest, und damit nur zehn Minuten mit dem Taxi von Brataras Hexenhaus entfernt, ist hinter dem Pentagon das zweitgrößte Gebäude der Welt, und es scheint zu 70 Prozent aus weißem Marmor zu bestehen.

Marmorböden, Marmorwände, Marmortreppen. Marmorflure. Breite Flure, lange Flure, wie Marmoralleen. Und die Decken so hoch, dass sie der Himmel sein könnten, ein Himmel voller gigantischer Kristall-Kronleuchter und für die mächtigen Flügeltüren zu den Sälen mussten ganze Edelholz-Wälder sterben.


Stockwerk um Stockwerk das gleiche Bild. Riesengroß, wahnsinnig teuer und irgendwie unbenutzt. Der Präsidentenpalast wirkt an einem Freitagnachmittag zwar nicht wie ausgestorben, aber fast. Die wenigen Menschen, die ich während meiner Wanderschaft durch die Marmor-Boulevard ihrer Arbeit nachgehen sehe, sind an zwei Händen abzuzählen.

Daniel Oajdea, Abgeordneter der regierenden Liberaldemokratischen Partei (PDL), und Ana, seine rattenscharfe Sekretärin, begleiten mich zum Herzen des Palastes, zum Saal des Parlaments. Saal? Eher der Olymp, eher die Mutter aller Tempel, ein gewaltiges Rund unter einer Kuppel aus blauem Glas. Der Saal ist leer. Daniel Oajdea zeigt uns seinen Platz in den halbrunden Reihen schmucker Ledersessel, er setzt sich, ich setze mich neben ihn, Ana bleibt stehen.

Sie dürfte Mitte 20 sein, sie trägt eine verwaschene Jeans und einen figurbetonten Pullover. Sie hat einen Kirschmund. Ich frage den Politiker, ob er Angst vor den Flüchen der Hexe Bratara Buzea hat, denn er gehört zu den Abgeordneten, die für das Hexen-Besteuerungs-Gesetz gestimmt haben.


Er sagt, er habe zu viel zu tun, um sich zu fürchten. Ich glaube ihm das. Er ist jung. Er ist modern. Er will den Euro, er will offene Grenzen, er ist ein Parlamentarier des 21. Jahrhunderts und nicht des Mittelalters. Aber was ist mit den anderen? Das neue Gesetz wurde erst bei der zweiten Abstimmung durchgepaukt.

Bei der ersten hatten die meisten seiner Kollegen noch gegen die Hexensteuer gestimmt. Hatten sie Angst vor den Flüchen? „Das kann sein, aber sie würden es niemals zugeben“, sagt Daniel Oajdea. „Genauso wenig, wie sie es zugeben würden, zu Prostituierten zu gehen?“, frage ich. Der Abgeordnete lacht. „In Bukarest brauchen sie nicht zu Prostituierten zu gehen“, sagt er, „in Bukarest kommen die zu ihnen.“ Und jetzt lacht seine Sekretärin. Ende des Interviews.

Die Augen der Hexe Micaela Minka verzaubern durch Schönheit, denn sie ist nicht nur 30 Jahre jünger als Bratara, sondern auch aus dem anderen Lager. Michaela ist eine weiße Hexe. Sie verflucht nicht, sondern heilt. Darüber hinaus kennt sie die Zukunft.


Tarot-Karten, Handlinien, Kaffeesatz und die große Kristallkugel, die von den fleischlosen Händen eines Gerippes gehalten wird, verraten sie ihr. Anscheinend mögen die Leute, was die weiße Hexe ihnen wahrsagt, denn Micaela Minka geht es gut. Ihr Haus ist groß, ihre Elektrogeräte sind teuer und die zwei falschen Zähne in ihrem ansonsten strahlend weißen Gebiss sind aus purem Gold.

Micaela ist die derzeit berühmteste Hexe Rumäniens, sie ist ein Medienstar und gibt sogar ein eigenes Hexen-Magazin heraus, in dem sie zum Beispiel ihren Lesern erklärt, wie es verhindert werden kann, dass die Geister verstorbener Familienmitglieder noch bis zu sechs Wochen nach ihrem Tod zu Hause spazieren gehen.

Man muss die Toten mit zusammengebundenen Beinen beerdigen, dann ist Ruh. Friede auch den Politikern. Sie hat nichts gegen das neue Gesetz und will bei der nächsten großen Hexen-Konferenz in Bukarest die Kolleginnen von ihrer Meinung überzeugen. Ihre Meinung ist: Da die meisten ihrer Klienten gern verschweigen, dass sie bei einer Hexe gewesen sind, können die Hexen auch über das Geld schweigen, das sie von den Verschwiegenen bekommen.

Die weiße Hexe sieht darin kein Problem und, um gänzlich reinen Tisch zu machen, bietet sie sich sogar an, die Seelen der verfluchten Politiker von dem bösen Zauber der schwarzen Hexe Bratara Buzea zu heilen, falls die es wünschen und ihre Honorare zahlen. Aber die werden steigen, wegen der Steuer.


Damit wäre eigentlich alles gesagt, nur eines nicht. Natürlich hat auch mir Micaela Minka aus der Hand gelesen und eine goldene Zukunft vorausgesagt. Erfolg, Erfolg und Erfolg bis ans Ende meines Lebens. Trotzdem wollte sie dafür von mir kein Geld, sondern lediglich mein Versprechen, ihre Telefonnummer (0040/745 78 67 23) in der Geschichte zu erwähnen. Das habe ich hiermit getan. Und gehe beruhigt zu Bett. Denn wer will schon, dass ihm nach dem Aufwachen urplötzlich eine Warze aus der Nase wächst?